Laufen kann jeder – das stimmt. Fast.
Denn mitunter kann doch nicht jeder laufen, er kommt zwar irgendwie vorwärts, schafft irgendwie die Strecke von A nach B oder von A mit einer Schleife wieder nach A, aber oftmals kann man das nicht so richtig laufen nennen. Nun gut, das ist ja zunächst einmal nicht weiter tragisch, das Wichtigste ist, dass Du raus gehst und Dich bewegst. Doch in Deutschland ist lt. Statistik jeder 2. Läufer einmal pro Jahr orthopädisch verletzt! Und das hat immer Ursachen – oft im Bereich der Trainingssteuerung (zu schnell zu viel Umfang), der Intensitäten (zu oft zu schnell) und nicht selten aufgrund einer ungenügend ausgebildeten Lauftechnik. Und diese kann man durchaus effektiver gestalten – und damit gesünder, schneller und ja, auch schöner laufen. Ein schöner, effektiver Laufstil ist ein Hingucker und seien wir ehrlich: wenn Dir beim Laufen jemand entgegenkommt, der auf dem Vorfuß tänzelnd, aufrecht und stabil, die Arme kontrolliert neben dem Körper schwingend einen langen Schritt „ziehen kann“, da schaut man doch gerne mal hin, oder? Zumindest ehrfurchtsvoll.
Die Läufer, die ich in meinen Kursen (www.marathonkurse.de) betreue, lernen und beherrschen das. Und es fällt anderen auf: “Ihr seid nicht nur schnell, irgendwie sieht das auch gut aus, wie Ihr alle lauft“. Und nein, da ist kein Profiläufer dabei und ja, das Durchschnittsalter liegt irgendwo zwischen 40-50 Jahren. „Schön laufen“, was genauso dicht am „schnell laufen“ wie am „gesund laufen“ liegt, kann jeder erlernen, unabhängig von Alter, Größe, Gewicht oder Lauftempo. Wie sieht aber nun ein perfekter Laufstil aus?
„Richtiges“ Laufen nutzt die Dämpfung des Körpers aus
Eins vorab: den perfekten Laufstil gibt es nicht. Aber orientieren wir uns doch einfach mal an dem naheliegendsten: der Natur.
Mach gerne folgenden Test: Steh mal auf, zieh Socken und Schuhe aus und stell Dich auf Deine Ferse, d.h. Fußspitzen zur Nase ziehen. Nun versuch mal zu hüpfen. Und? Wie funktioniert das? Mehr oder weniger gar nicht; Du kommst kaum vom Boden hoch. Vielleicht tut der Aufprall gar weh?
Nun stell Dich sich mal auf die Zehenspitzen, bzw. vorderen Teil des Fußes und probiere, auf der Stelle zu hüpfen. Und? Das geht sicherlich ziemlich gut, oder?
Wir kommen auf die Welt und tragen keine Schuhe, d.h. wir sind dafür gemacht, barfuß zu laufen. Unter unseren Füßen befinden sich jedoch keinerlei nennenswerte Dämpfungspolster, wie wir sie in Laufschuhen für gewöhnlich finden. Was wir aber finden, sind perfekte Systeme von Stoßdämpfern – Gewölbe unter den Füßen, Muskeln und energiespeichernde Sehnen unter den Füßen und an den Beinen/am Rumpf und vor allem auch Faszien, die unsere Muskeln umgeben. Ein richtiger Laufstil nutzt diese Systeme – und zwar richtig. Und richtig wäre hierbei, dass wir auf dem ganzen Fuß oder gar auf dem vorderen Teil des Fußes landen und eben nicht auf der Ferse.
So können wir den Stoß bei der Landung wunderbar mit unseren Dämpfungssystemen abfedern. Zudem speichern wir bei jedem Aufkommen Energie in die Sehnen und Faszien: sie verlängern sich minimal wie eine Feder, die man auseinanderzieht. Beim Loslassen (oder Abdrücken beim Laufen) ziehen sie sich wiederum schnellkräftig zusammen. Und diese Energie kostet uns nichts, d.h. wir müssen kein Benzin (Fette/Kohlenhydrate) verbrennen, um diese Effekte nutzen zu können – wir müssen sie nur nutzen und trainieren.
Von kleinen und großen Schritten
Viele Läufer sprechen immer davon, einen möglichst großen Schritt machen zu wollen, um schneller zu laufen. Das ist soweit auch richtig, doch glauben die meisten, dass diese Schrittlänge mit möglich raumgreifenden Schritten vor dem Körper erreicht wird. Usain Bolt hat eine Schrittlänge von ca. 2,40m – 2,45m, der normale Durchschnittsläufer sicherlich irgendwas um 1,2-1,50m. Nur wird man Usain Bolt nicht dabei erwischen, dass sein Fuß weit vor seinem Körper den Boden berührt, oder dass er gar auf der Ferse landet. Das wäre hochgradig uneffektiv. Denn alles, was Du beim Laufen vor dem Körper machst, bremst Dich. Je weiter sich Dein Fuß beim Aufkommen unter dem Körper befindet, desto effektiver wirst Du laufen. Die Schrittlänge erarbeitet sich Usain Bolt, indem er beim Abdrücken den Fuß sehr weit hinter seinen Körper bringt. Ich vergleiche Laufen immer mit Skateboard-Fahren. Um schnell vorwärts zu kommen, wirst Du Deinen Fuß irgendwo neben dem Skateboard aufsetzen (=unter dem Körper), um dann mit einem schnellkräftigen Stoß nach hinten das Board zu beschleunigen. Und Laufen ist wie beidbeiniges Skateboard-Fahren mit Aufprallenergie: also, vor dem Körper einen kurzen Schritt, hinter dem Körper einen langen Schritt.
Arme eng halten
Um das mit der Schrittlänge einfacher hinzubekommen, können wir unsere Arme entsprechend einsetzen. Was haben die Arme mit dem Laufen zu tun? Wir Menschen sind kreuzkoordinierte Wesen, d.h. wenn der rechte Fuß beim Laufen vorne ist, ist der linke Arm vorne und umgekehrt. D.h. wir beeinflussen mit unseren Armen und der Geschwindigkeit, wie schnell sie sich bewegen, automatisch auch die Beinbewegung. Wenn wir die Arme nun lang lassen und das Ellbogengelenk mehr oder weniger gestreckt, haben wir einen physikalisch recht langen Hebel. Und lange Hebel bewegen sich träge. Verkürzen wir diesen Hebel, indem wir das Ellbogengelenk beugen, bewegen die Arme sich schneller vor und zurück.
Probiere auf Deiner nächsten Laufrunde einmal Folgendes: Lauf im Wechsel 50m mit komplett gestreckten Armen und danach direkt 50m mit im Ellbogen stark gebeugten Armen. Du wirst feststellen, dass Du bei gestreckten Armen langsamer wirst und weiter vorne auf der Ferse landest. Weil Deine Beine sich langsamer bewegen.
Also: beim Laufen gilt es, die Ellbogen eng zu halten, mindestens auf 90 Grad. Schwing Deine Arme locker und ohne Verkrampfen neben dem Körper mit. Stell Dir dabei vor, dass Du Dir selbst unter Dein Kinn boxt – ja, soweit darf die Hand vorne hochgenommen werden. Der Reißverschluss an Deiner Jacke ist eine Orientierungshilfe: diese „Linie“ sollen die Hände möglichst nicht überschreiten, weil ansonsten unerwünschte Rotationen im Oberköper entstehen.
Haxen hoch
Lange Hebel sind träge, kurze sind schneller. Was für die Arme gilt, gilt auch für die Beine. Beim Zurückschwingen des Fußes nach vorne halten viele Läufer das Kniegelenk recht gestreckt – und produzieren damit einen langen Hebel. Nimmst Du beim Zurückschwingen aber Deine Fersen höher, verkürzt Du diesen Hebel und bringst damit das Bein schneller vor. Das hat wiederum zur Folge, dass Du deutlich dynamischer läufst, weil Du genug Zeit für einen aktiven Fußaufsatz unter dem Körper hast und eben nicht plump und passiv, auf der Ferse landend in den Schritt hineinfällst. Gut ausgebildete Läufer haben im Winter und bei Regen aufgrund des aufspritzenden Wassers beim „Anfersen“ immer den Rücken dreckig, während weniger gut ausgebildete Läufer eher die Beine verschmutzt haben.
Mach langsam
Arme eng halten, Haxen hoch, vor dem Körper einen kurzen Schritt, hinter dem Körper einen langen Schritt – eigentlich ganz einfach. Leider gibt es beim Ausdauersport keine wirklich kurzen Wege zum Erfolg – auch nicht bzgl. der Lauftechnik.
Insbesondere ein Umstellen der Landung – weg von der Ferse und hin zum Landen auf dem ganzen Fuss – bedarf einer Ausbildung der dämpfenden Systeme. Du brauchst kräftige(re) Wadenmuskeln, einen kräftigen Gesäßmuskel, die Faszien müssen trainiert werden – das dauert ein wenig. Wenn Du Dir diese Zeit aber gibst und zu Beginn immer nur kurze Strecken technisch „sauber“ läufst, wirst Du Dich erfolgreich umstellen können. Und läufst damit verletzungsfreier, schneller und auch schöner.